Bildhalle Zürich

Out There

Wie viel Equipment braucht ein Mensch fern ab der Zivilisation? Wie kann man einen Elchbullen anlocken? Oder bei 30 Grad Minus im Schnee schlafen?

Häufig verklären Fotografen Landschaften. Oder dramatisieren sie in Zeiten des Klimawandels. Bei Bruno Augsburger ist das anders. Er will archaische Natur vor allem erleben. Und dabei herausfinden, was sie für urbane Menschen bedeuten kann.

«Out There» nennt er seine Ausstellung ganz schlicht. Weil sie frei von gekünstelter Inszenierung ist, Augsburgers eigene Geschichten erzählt. Er ist ein Wanderer, die Kamera bloss Begleiterin, wenn er in der isländischen Tundra unterwegs ist oder durch die Wälder Nordkanadas streift. Er fängt die Seeforelle, um sie zu essen. Das Biwak ist keine Kulisse, sondern sein Bett in der Kälte. Der Elch ruht für immer, nach zehn Tagen flüstern, schleichen, jagen. Als Momentaufnahme dessen, was im Augenblick der Demut zwischen Wildnis und Zivilisationsmensch schwebt.

Damit trifft Augsburger Bedürfnisse einer modernen Gesellschaft: Stadtmenschen kleiden sich wie Holzfäller oder erklären Wandern zur hippen Form der Freizeitbeschäftigung. Es ist Ausdruck einer Sehnsucht, die normalerweise in gut besuchten SAC-Hütten endet. Für Augsburger hingegen führt sie weiter. Als Konsequenz einer Jugend im Berner Oberland, prägend für das Studium in Zürich und Leipzig wie auch seinen fotografischen Werdegang. Zurückgeworfen auf sich und seine Ausrüstung findet er das, was auch seine Ästhetik ausmacht: Einfachheit.

Galerie Römerapotheke Zürich

white blood steps

Ins Bild zu bringen, was sich dem Blick entzieht: In seiner Arbeit white blood steps wendet sich Bruno Augsburger neuen fotografischen Verfahren zu und bringt diese – quasi als Experiment – im kanadischen Yukon zur Anwendung. In früheren Arbeiten des Fotografen war die Kluft zwischen Bild und dem unmittelbaren Erlebnis auf seinen Streifzügen durch die nördlichen Wälder massgebend. Im Zentrum stand die sehr persönliche Beschäftigung mit der Erfahrbarkeit von Natur. Nun radikalisiert Augsburger seine Perspektiven und wirft Fragen nach der Darstellung auf, welche auch die Technik der Kamera unmittelbar betreffen. Dafür wählt er die Themen: Whiteout und Elchjagd. An ihnen zeichnen sich die Extreme des eisigen Nordens ab.

white. Als ›Whiteout‹ wird die diffuse Helligkeit bezeichnet, die bei schneebedeckter Umgebung und gedämpftem Tageslicht sich einstellt. Wenn Himmel und Boden ineinander übergreifen und die Konturen verschwinden, befällt den Menschen das Gefühl, sich in einem unendlichen Raum zu befinden. Wegen des drohenden Orientierungsverlusts bildet das Whiteout ein gefährliches Phänomen, das in erster Linie den Menschen, aber auch die Kamera an ihre Grenzen führt. Ein Whiteout zu fotografieren – Augsburger hat im Yukon mehrere erlebt –, das stellt vor die Aufgabe, die Bildlosigkeit ins Bild zu bringen. Keine Farbstufen und keine Formen bestimmen die Belichtung, und doch bedarf es der Anspielung aufs Bild, um eine Ahnung vom Verlust des Motivs und der Unzulänglichkeit der Technik zu geben.

blood. Dem Moment der Desintegration stellt Augsburger die innerste und kostbarste Materie der kanadischen Schneelandschaften gegenüber. Der warme Leib des frisch erlegten Elches hält die Lebensenergie gebündelt, dank welcher das Tier und einst auch der jagende Mensch sich gegen die Forderungen des nördlichen Winters behaupteten. Die Bilder legen blutige, kaum je sichtbare Landschaften frei und erinnern an die klassische Bildgattung, so wie sie Augsburger an einer herbstlichen Moorgegend vorführt. Die Analogie zwischen der Auslegung von Organen und jener Landschaft, aus der eben dieses Tier hervorgegangen ist, sie ist besonders auch fotografischer Art: Anders als die Whiteouts sind die Eingeweide bildgebend, und sie halten still vor dem Objektiv, so wie es die Landschaften seit den fotografischen Anfängen tun.

steps. Die vorliegende Arbeit entbehrte ihres existenziellen Moments, würde sie auf die Dokumentation ihrer Entstehung verzichten. Eingegraben in Schneewechten, hat Bruno Augsburger bei Temperaturen von bis zu minus dreissig Grad biwakiert. Nur bestes Equipment garantiert das Auskommen unter solchen Bedingungen. Die Bilder des Schlafsacks im Schnee weisen nicht nur auf die Differenz zwischen dem Wunsch nach Archaik und der neuesten Technik, die beide den Fotografen auf seinen Expeditionen Schritt für Schritt begleiten: Sie geben auch Zeugnis vom Wiedererwachen am anderen Morgen. Der Gedanke des Fort- resp. Überlebens, so wie ihn Augsburger im Yukon am eigenen Leib gewonnen hat, versetzt die Bilder von Eingeweide und Whiteout mit jenem kräftigen Ausdruck, dessen eine Ästhetik des Schönen entratet. white blood steps ergründet die Gewalt der Natur – mit menschlicher Fassung.

Thomas Forrer, Zürich

Kunstraum Medici Solothurn

Bruno Augsburger Fotografien

Wenn Bruno Augsburger von seinen Abenteuern in der kanadischen Wildnis berichtet und beiläufig erwähnt, dass er eigentlich ein Trapper hätte werden wollen, dann darf man den lächelnden Wink nicht übersehen, der sich auch in seinen Bildern spiegelt. Sicher, Augsburgers Expeditionen in die unwegsamen Gebiete des Yukon verlangen intensive Vorbereitung und eine Menge an Erfahrung, gerade, wenn es darum geht, bei minus 30 Grad, eingebettet in einer Schneewechte zu übernachten oder tagelang mit einem Minimum an Ausrüstung durch die Wälder des hohen Nordens zu streunen. Was Augsburger sucht, sei die absolute Stille, das einfache Leben, wie er beteuert, und dabei wird ihm, fernab der Zivilisation, der Körper zum eigentlichen Erfahrungsinstrument. In dessen Befinden, sei es Hochgefühl, Erschöpfung oder ruhige Ausgewogenheit, tut sich ein immer wechselndes Verhältnis kund zu dem, was wir aus unserer städtischen Perspektive ›Natur‹ nennen. Die Fotografien sind Produkte dieses Befindens: Nebenprodukte. Sie bleiben als Spuren von den intensiven Erlebnissen, die der Künstler anstelle seines Publikums gesucht hat.

Fischen, Elchjagd und Pilzsuche geben die Anlässe für die verwegenen Unternehmungen, und dabei geht Augsburgers Blick selten durch den Sucher seiner Kameras, die er im Kleinbild- und Mittelformat bei sich führt. Sie sind Begleiterinnen an seiner Seite, wie dann auch der Moment des Auslösens immer ein anderer ist als der unmittelbar erlebte. Eine solche fotografische Haltung fördert Nebenschauplätze zu Tage; sie finden ihre geographische Entsprechung in den namenlosen Landschaften dieser Erde.

So sehr diese Arbeit sich mit Natur beschäftigt, das Urbane ist nicht aus ihr wegzudenken. Bilder, wie 72 Days und London Heathrow, auf denen die ausgelegte Ausrüstung und der ›security scan‹ des Reisegepäcks zu sehen sind, erinnern daran, dass die Sehnsucht nach Natur einem städtischen Kontext entstammt. Auch Rousseau und Henry Thoreau haben das natürliche Leben mit dem gesellschaftlichen konfrontiert. Wenn Augsburger ihre aufgeschlagenen Bücher auf dem bewachsenen Boden fotografiert, lässt er die Texte nicht nur als Schrift-Landschaften erscheinen, er betont zugleich die Differenz des Natürlichen zum Medium seiner Überbringung.

Beim Aufspüren und Zurückbringen in Form des Bildes handelt es sich um zwei grundlegende Bewegungen dieser Arbeit. Denn ähnlich wie die Naturgeschichte zu Rousseaus Zeit ihre Aufgabe darin verstand, Lebewesen und Mineralien aus aller Welt zusammenzutragen, legt uns der Fotograf Landschaften und Fundstücke von seinen Reisen vor. Das Bild mit dem Titel Canis lupus zeigt einen freigestellten Wolfsschädel. Darin klingt vergangene Wissenschaft an. Die Funde aber, die einst die Daheimgebliebenen in Staunen versetzten, rücken bei Augsburger in eine eigentümliche Distanz. Das kommt nirgends so humorvoll zur Geltung wie im Bild Fliegenfischen. Die Angel, in der Wildnis ein unverzichtbares Gerät, verwandelt sich zum Sinnbild, wenn sie über den Dächern von Zürich ausgeworfen wird. Das Bild gibt Auskunft über das Verfahren des Fotografen und wirft zugleich die Frage auf, welche Rolle Natur, wenn es sie als unversehrte noch gibt, im modernen Leben denn spielen kann. Berge, Sümpfe und Wälder – sie erscheinen in Bruno Augsburgers Fotografien in einer unnahbaren Stille.

Thomas Forrer, Zürich

Various Exhibitions

2022 Kunst zu Hause III, Zumikon

2020 Ich ging im Walde… Galerie Fenna Wehlau, München

2016 Immer diese Fragen Galeriehaus Nord, Nürnberg

2015 Dritte Runde Bildhalle, Kilchberg

2015 Drive In Bildhalle, Kilchberg

2013 Out There Bildhalle, Kilchberg, Solo

2012 Grösser als Zürich Helmhaus Zürich

2011 Slippy Floor Pavels Dog Galerie, Berlin

2010 Landschaft im Wandel Kunstmuseum Thun

2009 Bergwelten Ausstellungsraum La Vonta, Lavin

2009 White Blood Steps Galerie Römerapotheke Zürich, Solo

2008 Kult Zürich Aussersihl Galerie Museum Baviera, Zürich

2007 Fotografien Kunstraum Medici Solothurn, Solo

2006 Ist das Fischli Weiss? Coleman Project Space, London

2004 Bruno Augsburger Galerie Römerapotheke Zürich

2004 Ocean Galerie Goldankauf München, Solo

2000 Next Stop Kunstmuseum Thun, Solo 1999 Fischen HGKZ Zürich

1998 Nachschlag Foto Forum St. Gallen